Prävention ist die beste Prophylaxe
Vorbeugen ist besser als unnötig leiden!...
Gibt es eine Einsicht, die offensichtlicher zu Tage liegt? Zumindest in diesem Punkt scheinen die meisten Vertreter unseres Sozial- und Gesundheitssystems einer Meinung zu sein. Schäden gar nicht erst entstehen zu lassen, scheint doch sinnvoller als jede Reparatur. Doch gemach: Wie bei vielen Auffassungen und Begriffen, die im gesellschaftlichen Kontext an Bedeutung gewonnen haben, lohnt es sich, auf ihre ethymologischen Wurzeln zu schauen, um so eine Zentrierung auf ihre begriffliche Schärfe zu gewinnen.
Der Terminus „Prävention“ stammt vom lateinischen prävenire – zu deutsch: Vorher ankommen bzw. früher ankommen; der konkurrierende und oftmals analog benutzte Begriff „Prophylaxe“ hingegen stammt aus dem Griechischen. Er bedeutet. Vorher kämpfen, den Erstschlag führen. Nun mag es mehr als nur Auffassungssache sein, den mehr sportlichen oder eher kriegerischen Aspekt hervorzuheben, für das, was hier gemeint ist. In jedem Falle aber heißt Vorbeugung schneller sein als andere, der Gefahr zuvorkommen oder schlicht und einfach früher handeln! Prävention im Kontext einer sich entwickelnden Moderne seit Beginn der industriellen Revolution hat sich wesentlich im Bereich der Medizin durchsetzen können. In der Bekämpfung von Seuchen und Infektionskrankheiten haben im 19. Jhdt. und frühen 20. Jhdt. die klassischen Instrumente der Kontrolle und Absonderung versagt. An ihre Stelle traten – zumindest bis Impfstoffe und andere Medikamente gefunden wurden- massive Kampagnen für Verhaltens- und Einstellungsänderungen. Prominentestes Beispiel dieser erfolgreichen Strategie ist die Bekämpfung der Tuberkulose. Ein Beispiel aus unserer Zeit ist die Eindämmung der HIV-Infektionen in Nord- und Westeuropa durch intensive Aufklärung.
Prävention von Krankheiten, Prävention von Schäden im Gemeinwesen, Prävention von abweichendem Verhalten wird häufig in Maßnahmen der primären, sekundären und der tertiären Prävention unterteilt. Dabei sind Verwechslungen der Typen von Maßnahmen häufig. Es empfiehlt sich deshalb, die Unterscheidung an einem Beispiel zu verdeutlichen – dem Schutz vor Feuer: Die primäre Prävention gegen Brandschäden besteht in der Vermeidung von Bränden, also in der Erziehung zum vorsichtigen Umgang mit Feuer, der Anbringung von Feuerschutzmitteln, der Verwendung von schwer brennbaren Materialien beim Hausbau,... Die sekundäre Prävention besteht in der frühzeitigen Entdeckung und raschen Bekämpfung des Feuers. Die tertiäre Prävention besteht im Schutz gegen einen Wiedereintritt des schädigenden Einflusses, also in der Vermeidung eines Rückfalls, hier des Wiederaufflackern des Feuers, im Auffinden von Glutnestern und der Sanierung des Brandortes. Wer diesem Denkweg folgt, kann die Struktur der drei Stufen durchaus auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen.
Die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Präventionsbegriff und seine Etablierung in nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gehört zu den notwendigen Aufgaben aller im Gemeinwesen agierenden Personen und Kräfte und jedes einzelnen. Der Schutz jedes einzelnen Menschen geht über in den Schutz der Menschheit – der Schutz der Gesundheit geht über in den Schutz der Nahrungsmittel – geht über in den Schutz der Natur – geht über in den Schutz der gesamten Biosphäre. Prävention als ganzheitlich verstandenes Prinzip der Bewahrung ist gleichzeitig ein Prinzip der Heilung. Der Schutz aller Lebensgrundlagen gehört zu den vordringlichen Aufgaben einer ethischen Wertorientierung, deren Prämissen seit langem formuliert und gefordert werden. In diesem umfassenden Sinn einer holistischen Interpretation plädiere ich für einen erweiterten Präventionsbegriff, der auf Basis einer intersubjektiv konstituierten Wert-Ethik seine Wirkung zweifelsfrei entfalten wird. |