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Kulturreport Klezmer

Wer kann Klezmermusik definieren?

Es ist naturgemäß schwierig, eine Sache zu definieren, die sich in einem Wandlungsprozess befindet. Wir können heute sagen, was Klezmorim vor 100 oder 200 Jahren gespielt haben, und ein Musikwissenschaftler wird im Jahre 2100 wissen, was man um die Jahrtausendwende Klezmermusik genannt hat.
Aber heute: Giora Feidman, der derzeit prominenteste Klezmermusiker und in Deutschland der Pionier der Klezmermusik schlechthin, definiert den Begriff Klezmermusik ganz anders.
(...) Es gibt nämlich verschiedene Aspekte, unter denen wir eine Musikrichtung beschreiben können:

1. Der analytische Aspekt: Wir können fragen, wie Klezmerstücke aufgebaut sind, was für Rhythmen, Tonleitern und Akkorde vorkommen, wie sie instrumentiert werden... 
2. Der traditionell-funktionale Aspekt: Wir können fragen, wer Klezmermusik traditionell spielt(e), und wozu man sie einsetzt.
3. Der übergreifende Aspekt: Wir können fragen: aus welcher Geisteshaltung spielen Klezmorim, und inwieweit können wir diese Geisteshaltung auf unser bisheriges Verständnis von Musik übertragen?

Für Giora Feidman zählt vor allem der dritte Aspekt, denn nur damit kann er die Musik, die er auf der Bühne spielt, Klezmer nennen. Meine eigene Prioritäten würde ich mit 3, etwas 1 und ganz minimal 2 bezeichnen. Ein solches Musikbild wirft ein Problem auf: nach Feidman`s Definition kann jeder Mensch ein Klezmer sein, gleich welcher Herkunft und welcher Religion. Wichtig ist, aus welcher Geisteshaltung heraus er spielt. Sofort stellen sich verschiedene Fragen: Ist das denn in Ordnung so? Nehmen die Deutschen den Juden jetzt die auch Klezmermusik noch weg?
Auf diese Fragen gibt es zumindest eine einfache Antwort: Wer Musik macht, nimmt niemandem etwa weg, sondern er gibt etwas!

 

Giora Feidman und Kli Zemer

(...) Um eine Musik, die ursprünglich zum Tanz gespielt wurde, auf Konzertbühnen zu präsentieren, musste Giora Feidman natürlich einiges verändern. Ein Aufschrei unter den Anhängern des traditionell-funktionalen Aspektes: das ist doch kein Klezmer, dazu kann man nicht tanzen, so würde man das Stück bei einer Hochzeit niemals spielen...

Feidman argumentiert unter dem übergreifenden Aspekt. Er muss es ja zwangsläufig tun, denn er ist sich seiner Botschaft völlig sicher: das, was er spielt, ist Klezmer. Er kann gar nichts anderes spielen. Also setzt er bei den Wortwurzeln des Wortes Klezmer an. Damit aber erhalten wir eine ganz neue Dimension von Klezmer.

Die aramäischen Stammsilben von "Klezmer", bedeuten, wörtlich übersetzt: "Gefäß des Liedes". Das ist nicht nur eine nette Beschreibung für einen Musiker, hier steht eine Philosophie dahinter. Wenn wir uns Musiker als Gefäße des Liedes ansehen, bedeutet das nämlich vor allem, dass wir Musiker keine Musik machen. Die Musik ist schon da, auch ohne uns. Alle Melodien sind als Bestandteil der Schöpfung bereits vorhanden. Jeder kann wunderschöne Musik hören, wenn er nur die Augen schließt und in sich hineinhört. Unsere Aufgabe als Musiker ist nun, diese Musik, die uns begeistert, auch für andere hörbar zu machen.

(...) Giora Feidman sagt ganz einfach: jeder, der aus der Haltung Kli Zemer, der Haltung des Musik-Weitergebens spielt, ist ein Klezmer.

 

Workshops und Kli Zemer

(...) Die meisten Menschen haben Angst vor der Improvisation. Kli Zemer liefert hier ein wunderbares Bild: Wenn du ehrlich bist, kannst du nichts falsch machen. Alle Musik liegt ja schon in der Stille. Also lernen wir zuerst, die Stille zu genießen, danach lernen wir, einen Ton zu genießen, ihn schön zu finden, zu hören, was mit ihm passiert, wenn ein zweiter Ton dazu erklingt. Das Stichwort ist hier die innere Stimme. Wenn ich improvisiere, beginnt das stets damit, dass ich höre, nach außen, was die Mitmusiker spielen, und eben nach innen, wo mir Melodien unweigerlich "gegeben werden", wenn ich nur lange genug warte. Diese muss ich auf mein Instrument übertragen. Das ist für Workshopteilnehmer ein nachvollziehbarer Prozess, wenn auch nicht immer einfach.

(...) Irgendwann stellte ich fest, dass es vielen Menschen leicht fällt, auf der Basis von Klezmer-typischen Tonleitern zu improvisieren, leichter als mit Dur und Moll. Problematisch wurde es nur, wenn ein Teilnehmer nicht genügend technische Versiertheit besaß, mit diesen Tonleitern zu spielen. Deshalb entwickelte ich hier ein Verfahren, mit präparierten Xylophonen oder Orff-Klangstäben und einem eingeschränkten Tonvorrat zu arbeiten. Geradezu verblüffend war es, zu sehen, dass dieses Verfahren bei autistischen sowie bei psychisch kranken Menschen fantastisch funktionierte. Oft trat nach den ersten, vorsichtig gespielten Tönen ein Leuchten in ihre Augen und sie wollten gar nicht mehr aufhören zu spielen. Kommunikation über die Musik wurde problemlos möglich. (...) Ich arbeitete mit Erwachsenen, mit Kindern und Jugendlichen, mit behinderten Menschen, psychisch Kranken, Lehrern, Schülern.... Aus jeder Gruppe war es mit Kli Zemer möglich, wunderschöne Musik hörbar werden zu lassen. (...)

 

Kli-Zemer auf der Bühne

(...) Die Idee des Musik-Vermittelns (statt Produzierens) führte zu einem neuen Bühnenkonzept: Die Zuhörer werden mental - manchmal auch real - vom ersten bis zum letzten Ton mit einbezogen. Applaus beispielsweise ist für uns keine Belohnung für einen gut gespielten Titel, sondern eine gezielte Maßnahme zum Spannungsabbau. Häufig verwenden wir Brücken: eine Melodie wird immer leiser, sodass die Zuhörer sie irgendwann nicht mehr hören, statt dessen aber weiterdenken. Das ist ein Zustand sehr hoher Aufmerksamkeit und intensivster Spannung. In diese Spannung hinein starten wir den nächsten Titel, der nun nicht bei Null beginnt, sondern weiter aufbauen kann.

(...) Wann immer es möglich ist, machen wir unseren Zuhörern klar, dass hier nicht eine Band ihre Stücke abliefert und ein Publikum gegenübersitzt und konsumiert, sondern dass wir eine gemeinsame musikalische Erfahrung machen. Die meisten Konzerte enden, indem wir Musiker im Publikum sitzen und gemeinsam mit diesem eine Melodie singen.

(...) Meine Ansagen dienen ausschließlich dazu, der Musik den Weg zu ebnen: die unterschiedlichen Menschen, die in unseren Konzerten sitzen, haben unterschiedliche Voraussetzungen. Was dem einen als fetziger Tanz erscheint, kann für den anderen durchaus ein Streitgespräch sein. Wenn ich viel vorgebe, bleibt wenig für die Fantasie, also gebe ich nur wenig vor, und der Zuhörer ergänzt mit seiner Fantasie.(...)

 

Holocaust und Klezmer

Viele Klezmermusik-Veranstaltungen finden im November statt. Viele nehmen Bezug auf den 9. November, die sogenannte Reichspogromnacht, viele auf die Schrecken des Naziterrors.

Manche werfen mir vor, dass ich bei meinen Konzerten und Workshops nicht oder zu wenig auf den Holocaust eingehe. Ich werde es auch weiterhin nicht tun.

(...) Wir wollen kein Entsetzen über untergegangene Traditionen verbreiten, sondern Freude über das, was da ist.

(...) Wir Musiker können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, wir können lediglich dazu beitragen, dass Menschen sich gemeinsam freuen und die Zukunft unverkrampfter sehen. Wir können mit der Idee von Kli Zemer zeigen, dass das Leben trotz Euro und Arbeitslosigkeit etwas Schönes zu bieten hat. (...)