Erlebnis Klezmer„Klezmer ist Musik, die lebt. Sie tanzt und singt, weint und lacht, sie ist der Ausdruck unserer Lebensfreude und Trauer.“ „Klezmer ist Musik, die lebt. Sie tanzt und singt, weint und lacht, sie ist der Ausdruck unserer Lebensfreude und Trauer.“ Ein Spaziergang durchs jüdische Viertel an einem der ersten wärmeren Frühlingsabende – es geht bereits auf neun Uhr zu, trotzdem verschwindet gerade erst der letzte Rest des Tageslichtes, die Luft hat die frostige Winterkälte schon fast verloren. Nach dem lärmigen Treiben in der Krakauer Innenstadt, in der das Leben jetzt erst richtig anfängt, erscheinen die Gassen hier fast ausgestorben; nur einige einzelne Gestalten bewegen sich durch die einbrechende Dämmerung. Oder täuscht der erste Eindruck? Irgendwo in der Nähe erklingt Musik – eine Klarinette? Ja, tatsächlich, auch Geigenklänge werden jetzt vernehmbar. Hört sich nach einem Fest an, jetzt ertönt ausgelassener Gesang, und auch die Klänge eines Cellos lassen sich heraushören. Um die nächste Ecke gebogen, taucht am Ende der Gasse ein hell erleuchtetes Weinlokal auf, vor dem sich eine Menschentraube drängt. Fröhlich, aber auch ein bisschen melancholisch klingt diese außergewöhnliche Musik, die eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. „Die Musik des Klezmer ist Freude und Trauer in einem. Sie berührt mich auf eine Art und Weise, wie es keine andere Musik vermag“ – mit diesen wenigen Worten spricht der russische Komponist Dimitrij Schostakowitsch wohl all denjenigen aus der Seele, die sich schon einmal vom Zauber dieser Musik haben einfangen lassen. Und das sind sicherlich nicht wenige: seit ungefähr dreißig Jahren erlebt die traditionelle Fest- und Feiermusik der Juden Osteuropas ein weltweites Revival, in dessen Zuge sich das Wort „Klezmer“ als Stilbegriff etabliert hat. Die genaue Beschaffenheit des heutigen Stils zu beschreiben, ist allerdings nicht ganz einfach. Schon das traditionelle Klezmer-Ensemble, die Kapelye, konnte auf vielfältige Weisen zusammengesetzt sein; neben Violine, Bass und Hackbrett wurden verschiedene Blasinstrumente wie Flöte oder Klarinette eingesetzt. Anfang der 70er Jahre begannen jüdische Musikstudenten in den USA, sich wieder mit der Klezmer-Musik zu beschäftigen, nachdem sie fast 40 Jahre lang durch das Bestreben der Nationalsozialisten, jüdisches Leben und damit jüdische Kultur auszulöschen, auch in der amerikanischen Öffentlichkeit kaum noch gespielt worden war. Die wiederentdeckte Klezmer-Musik wurde nun teilweise im traditionellen Stil ausgeübt, teilweise aber auch mit Jazz-Elementen und anderen Stilrichtungen durchmischt. Jetzt verstummen die Instrumente, Applaus brandet auf, Lachen und Stimmengewirr erschallt aus der Weinstube, in der sich die Menschen drängen. Die Musiker, die Klezmorim, haben kaum den Beifall entgegengenommen, als sie schon zum nächsten Stück aufspielen, einem schnellen, fröhlichen Tanz. Das Publikum ist begeistert, Bewegung kommt in die Menschen unterschiedlichsten Alters, die sich hier zusammengefunden haben; fast alle beginnen, laut den Takt mitzuklatschen. Das Klezmer-Ensemble, in dem ebenfalls verschiedenste Altersstufen vertreten sind, spielt aus voller Seele. Eine Bühne gibt es nicht, das Orchester scheut die Berührung mit seinem Publikum offensichtlich nicht, nein, sucht sie sogar; jetzt kommt der Klarinettist nach vorn und bewegt sich, soweit es im Gedränge möglich ist, ein paar Schritte zwischen seinen Zuhörern. „Eine Beerdigung ohne Weinen ist wie eine Hochzeit ohne Klezmer“ heißt es; besonders für die Einwohner der Schtetl, der jüdischen Kleinstadtgemeinden in Osteuropa, spielte die Klezmer-Musik eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen und religiösen Zusammenleben. Bei Festen, wie eben zum Beispiel auf Hochzeiten, durfte die traditionelle musikalische Begleitung durch das Klezmer-Ensemble nicht fehlen. Der Ursprung des Begriffs „Klezmer“ ist im Hebräischen zu suchen, er wurde aus den Worten „kli“ für Werkzeug und „smer“ für Gesang zusammengesetzt und diente zunächst zur Beschreibung des Instrumentes, ging erst später auch auf den Benutzer über. Für Giora Feidmann und Helmut Eisel spielt die Übersetzung von Klezmer als „Gefäß des Liedes“ eine tragende Rolle. Sie verstehen den Musiker als den Überbringer, den Vermittler von als Bestandteil der Schöpfung bereits vorhandenen Melodien. Noch ein letztes Mal verbeugen sich die Musiker, bevor sie sich an die Theke begeben um ein wohlverdientes Bier zu genießen. Der Violinist streicht sich die schweißnassen Haare aus der Stirn, der Sänger lässt sich erschöpft auf einen Hocker sinken – die vorhergegangene dritte Zugabe scheint tatsächlich die letzte gewesen zu sein, auch wenn der Beifall noch immer nicht enden will. Auch im Publikum fällt der Blick auf gerötete Gesichter; auf den meisten von ihnen liegt ein erschöpftes, aber zufriedenes Lächeln. Auf dem Weg nach Hause scheint die Stille der inzwischen in nächtliches Dunkel getauchten Gassen eine andere geworden zu sein. Ausgestorben? Keineswegs – wo Klezmer ist, da ist auch Leben. Die Redaktion |