Arbeit und LebenDie Zukunf der Arbeit und die Arbeit der ZukunftAus einem Vortrag von Dr. Dieter Offergeld in Dortmund.Das Verhaltnis von Dienen und Verdienen ist in der Arbeitswelt besonders allgegenwärtig. Dr. Dieter Offergeld zeichnet die Entwicklung der Arbeit in der Geschichte nach und gibt Ausblicke darauf wie Arbeit in Zukunft gestaltet werden kann. Das Verhaltnis zwischen der Notwendigkeit der Arbeit und den Stunden der Freiheit in Selbstbestimmung hat die Menschheit von Beginn ihrer Geschichte an gefesselt. Das beginnt in der biblischen Mystik bereits bei Adam und Eva, die nach dem Sündenfall als verdammt galten, ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts zu erwerben. In der griechischen Polis ebenso wie unter den freien Römern war das freie Handeln freier Männer das herrschende Lebens- und Sozialideal, das sich über die höfische Zeit und bis weit in die Neuzeit als Lebens- und Sozialideal gehalten hat. Arbeit war unterhalb dieser Männerfreiheit von einem Heer aus unterworfenen Völkern oder lohnabhängigen Arbeitern und gegebenenfalls von den patriarchalisch abhängigen Frauen zu verrichten. ~...~ So verwundert es nicht, dass es dem europäischen Denken lange fremd blieb, die Arbeit der Wurde des Menschen zuzurechnen. Erst mit dem Reformator Calvin und der protestantischen Ethik bekam die berufliche Arbeit im Diesseits einen neuen Rang und eine jenseitige Belohnung. Der Berufserfolg wurde zum Beweis der Huld Gottes, die auf dem Erfolgreichen lag - eine Idee, die über die Angelsachsen noch heute das Denken Amerikas bestimmt. Arbeit als SelbstverwirklichungMehr und mehr tritt nun der Mensch in der Arbeit der Natur als selbständige Macht gegen über, in der Arbeit verwirklicht er sich und vervollkommnet sich als Gesamtpersönlichkeit. Über Jahrhunderte haben wir in Elternhaus, Kirche, Schule und Ausbildung die Arbeit als das sinnstiftende Fundament humaner Existenz gelehrt bekommen und verinnerlicht. Qualifikation und berufliche Leistung wurden zum bestimmenden Sozialfaktor nicht nur in der kapitalistischen Welt. ,,Held der Arbeit" zu werden war zugleich die höchste erreichbare Auszeichnung, sozusagen die systemspezifische Form des neuen sozialistischen Hochadels. Nun plötzlich schien dieser Arbeits- und Leistungsgesellschaft für erhebliche Teile ihrer Mitglieder die Beschäftigung auszugehen. Denn weltweit hatte sich die Arbeit, für viele von uns unbemerkt, aber offensichtlich unbemerkt gewandelt. Drohten die Maschinen des 19. und 20. Jahrhunderts mit der Brotlosigkeit, so befürchten heute nicht wenige, dass das Informationszeitalter dieses Jahrhunderts die Arbeit an sich vernichten könnte. (...) Tatsächlich ist die Arbeit in ihrer körperlichen Belastung und zeitlichen Beeinträchtigung insbesondere in den westlichen Industriestaaten von Jahr zu Jahr zurückgegangen. Förderanlagen, Hochöfen, Walzwerke und Kühltürme sind museale Relikte einer arbeitsamen Vergangenheit. Noch 1 956 betrug die wöchentliche Arbeitszeit mehr als 50 Stunden, der Samstag war zumindest in den Fabriken bis 14 Uhr ein ganz normaler Arbeitstag. Heute hat sich die durchschnittliche Urlaubsdauer mehr als verdoppelt. Aus 3 900 Jahresarbeitsstunden je Arbeitnehmer sind weniger als 1 600 geworden. Bei einer 35-Stunden-Woche und vor den Erfordernissen einer sinnvollen Gestaltung von 6 Wochen Urlaub, gut 100 Samstagen und Sonntagen sowie rund 10 Feiertagen hat sich zugleich ein Wandel des Arbeitsbewusstseins vollzogen. Die Masse der Beschäftigen lebt in einem bis dahin unbekannten Reich großer dispositiver Zeitmengen - manchmal leider auch gezwungenermaßen. Freizeit in der SpaßgesellschaftDie Fixierung auf die Erwerbsfähigkeit als den einzigen Lebenssinn, das einzige Tor zur Lebensfülle, zu Ansehen und Erfolg wird seither immer breiter in Frage gestellt. Die Spaßgesellschaft sowie die Freizeit und ihre sinnvolle -oder sinnlose) Gestaltung bestimmen für viele den Arbeitsrhythmus und nicht umgekehrt. Gleichzeitig beziehen die Führungseliten in allen Bereichen der Gesellschaft ihr Ansehen aus der Tatsache, dass sie 60, 70 und mehr Stunden in der Woche arbeiten und keine freie Zeit mehr zur Verfügung haben. Weltweit wandelt sich damit die Arbeit und ihre gesellschaftliche Bestimmung- und zwar so grundlegend, dass dieser Prozess vom 21. Jahrhundert an Zwangsweise auch unser Bild der zwischenmenschlichen Zivilisation verändern wird. Diese Entwicklung fördert einen Umbruch der Gesamtordnung und eine Revolution des gesellschaftlichen Selbstverständnisses in einem Kernfeld europäischer und geistesgeschichtlicher Tradition und Kultur. Noch bis vor kurzem hofften Wirtschaftswissenschaftler und Politiker, dass die entlassenen Arbeiter neue Jobs in den diversen Dienstleistungsbranchen finden würden. Inzwischen allerdings hat auch in diesem Bereich die Automatisierung erstaunliche Fortschritte erzielt. ~...~ Die in konservativen, kirchlichen, sozialen und gewerkschaftlichen Kreisen vorherrschende Hoffnung auf eine grundlegende Wende stützt sich auf die Annahme, dass eine Verbesserung der tariflichen Rahmenbedingungen oder kräftige Lohnerhöhungen einen Investitionsschub bringen werden, der die Arbeitslosenquote normalisieren könnte, wenn es denn überhaupt eine normale Quote an Arbeitslosigkeit geben darf. Alle diese geplanten Reformen mögen vorübergehend sicherlich gesellschaftlich nützlich und sozial notwendig sein, bleiben langfristig allerdings ergebnislos. Denn nirgendwo fehlt es Investoren und Konsumenten an Geld oder Bedarf, sondern einfach an den wirtschaftlichen Möglichkeiten, zur Deckung unserer Bedürfnisse teure menschliche Arbeitskräfte einzusetzen. Humankapital der reichen LänderMir scheint es wahrscheinlich, dass noch jahrzehntelang mächtige Schübe von technischen Neuerungen auch für unser Land zu erwarten sind - in der Information und Kommunikation, in der Gentechnik, in der Energie- und Umwelttechnologie. Zu den wahrscheinlichen Leistungen bis etwa 2050 rechnet man planetäre Techniken (Mülldeponien auf dem Mond), Abschleppen von Eisbergen zur Bewässerung von Dürregebieten, Meeresbewirtschaftung und -bebauung, gengestützte Prothesen und Implantate,Wetterbeeinflussung, Weltraumexkursionen, den Transrapid, intelligente Autobahnen, PKWs mit weniger als 2 Liter Benzinverbrauch je 100 Kilometer etc. Hauptquelle dieser und vieler anderer umwälzender Entwicklungen ist allerdings als Basis der Innovationen das menschliche Wissen, die Bildung von Humankapital in Schule, Forschung und aus ständigem Lernen. Nach Schätzungen der Weltbank verdanken die reichen Länder zwei Drittel ihrer Wertschöpfung diesem Humankapital; die neuen Ideen, auf die es ankommt, können sich zudem beliebig fortpflanzen, haben keine physische Dimension und kennen keine Grenzen. Und sie sind nicht knapp wie andere Produktionsfaktoren. Jedes Land kann diese Entwicklungschancen allerdings nur dann sinnvoll nutzen, wenn es vor ihren neuen Herausforderungen nicht kapituliert, sondern ihnen mit innovativen und zukunfts- wie wettbewerbsfähigen Strategien begegnet. Dieses Miteinander aus human capital und gewerblicher Produktivität muss derartig miteinander verzahnt werden, dass branchenübergreifende interregionale Netzwerke aufgebaut werden, in deren Mittelpunkt die Wirtschaft mit ihren Hochschulen steht. (...)
Artikel aus dem Heft Kulturbühne 2002 |